Interview mit wissenschaftlicher Begleitung der BTZ-Projekte „Die Ausbildung muss sich an beruflichen Handlungen orientieren“

Im Projekt „Digitale Konzepte für eine moderne Ausbildung in der Land- und Baumaschinenmechatronik“ (DiKonA) werden Lehrgänge der überbetrieblichen Ausbildung analysiert und mit digitalen Inhalten angereichert. Daneben wirft das Team einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen in der Branche und beschäftigt sich mit der Zukunft der Ausbildung in diesem Gewerk. Im Interview erläutert Prof. Harald Strating, der das Projekt wissenschaftlich begleitet, welche Chancen und Herausforderungen er für die Ausbildung junger Fachkräfte sieht. Er leitet den Lehrstuhl für Didaktik der Technik an der Hochschule Osnabrück, an der er unter anderem angehende Berufsschullehrer*innen ausbildet.

Land- und Baumaschinenmechatroniker Meister erklärt Hydraulik am Bagger.
BTZ Osnabrück / Martin Lukas Kim

Herr Prof. Strating, Sie stehen dem Projekt „DiKonA“ als wissenschaftliche Begleitung zur Seite. Damit verbunden ist ein tiefgreifender Blick in die Land- und Baumaschinentechnik. Welche Faszination üben diese großen Maschinen auf Sie aus?

Große Land- und Baumaschinen üben natürlich allein durch ihre Dimensionen eine besondere Faszination aus. Gleichzeitig handelt es sich durch die technologische Entwicklung – und besonders die digitale Progression – um immer komplexere Systeme, die auch in kleineren Varianten und Ausmaßen technisch faszinieren. Land- und Baumaschinen dienen zum einen als Investitionsgüter der wirtschaftlichen Funktionserfüllung, zugleich schaffen sie als mobile Arbeitsgeräte anspruchsvolle Arbeitsplätze für Maschinenbediener*innen und Fahrzeugführer*innen.

Im Projekt „DiKonA“ sind die Land- und Baumaschinen besonders aus der Perspektive der Facharbeiter*innen, welche die Maschinen im Kundenauftrag in Betrieb nehmen und einrichten sowie Wartungs- und Reparaturarbeiten durchführen, von Interesse.

privat

Rein technisch gefragt, welche großen Entwicklungen sehen Sie in den kommenden Jahren auf das Gewerk zukommen?

In erster Linie sind es weitreichende Entwicklungen aufgrund der Digitalisierungstrends. Recherchen und Interviews bestätigen, dass sich diese Trends in drei Bereichen manifestieren:

Im Bereich der technologischen Entwicklung sehen wir vor allem eine zunehmende Vernetzung und Automatisierung von Landmaschinen. Stichworte sind BUS-Systeme, GPS-Steuerung bis zu autonom fahrenden Feldrobotern. Bereits jetzt gibt es eine deutliche Expansion von Assistenzsystemen, verbunden mit der erforderlichen Sensorik. Im Bereich der alternativen Antriebe weisen einige Segmente auf eine Zunahme der Hochvolttechnik hin, überwiegend im stationären Betrieb und bei städtischen Kleinbaustellen. Für die Zukunft sind zudem verstärkt Wasserstoffantriebe zu erwarten. Die Telematiksysteme eröffnen den Betrieben und Werkstätten neue Services und Geschäftsmodelle. Durch Datenspeicherung und -auswertung in Verbindung mit Ferndiagnosemöglichkeiten können Kund*innen vorausschauende Instandhaltungsmaßnahmen (predictive maintenance) angeboten werden. Auch die Auftragsabwicklung ändert sich mit der Digitalen Werkstatt. Hier sind die Standards betriebsspezifisch besonders in Abhängigkeit von der Betriebsgröße noch sehr unterschiedlich. Der Trend ist jedoch eindeutig: Die Kommunikation innerhalb eines Betriebes, mit Kund*innen und auch mit Herstellern erfolgt zunehmend digitaler, entweder mit Herstellerinformationssystemen oder über spezielle Branchensoftwarelösungen.

Mit dem Fortschritt auf diesen Gebieten kommen auf Facharbeiter*innen ganz neue Aufgaben zu. Welche Kompetenzen brauchen Land- und Baumaschinenmechatroniker*innen zukünftig?

Konkret sind hier drei Anforderungsbereiche zu nennen. Facharbeiter*innen benötigen technologiebezogene fachliche Kompetenzen, sowohl im Hinblick auf einzelne digitale Technologien, als auch bezogen auf das übergreifende Verständnis „das Große und Ganze“ der Gesamtsysteme. Ebenso benötigen sie einen Überblick über unterschiedliche Hersteller und Systeme und müssen mit Test- und Diagnosegeräten umgehen können. Die Anforderungen an überfachliche Kompetenzen sind zwar nicht neu, steigen aber mit der dynamischen Entwicklung. Selbst organisiertes und strukturiertes Arbeiten in der Land- und Baumaschinenmechatronik erfordert bei den Facharbeiter*innen Akzeptanz und Offenheit für „Neues“, Kommunikations- und, Sozialkompetenzen und auch kaufmännisches Verständnis. Daneben sind allgemeine Medienkompetenzen erforderlich, neben PC-Grundkenntnissen muss ein selbstverständlicher Umgang mit Digitalisierung, eine „digitale Affinität“ vorhanden sein. Auch die Endgerätenutzung, der Zugriff auf Herstellerdaten und -portale oder eine digitale Auftragsabwicklung müssen und wollen beherrscht werden.

Steigender technologischer Anspruch, zunehmende Anforderungen – steigt damit auch die Zahl der Ausbildungsinhalte? Wird die Ausbildung also zwangläufig immer umfangreicher und komplexer?

Definitiv muss und wird die Ausbildung an die veränderten Anforderungen angepasst werden. Der zeitliche Umfang der Ausbildung ist natürlich nicht beliebig erweiterbar. Die Erhöhung einer „Anzahl“ von Ausbildungsinhalten ist dabei nicht zielführend. Vielmehr sind die konkrete Gestaltung und Auswahl der Ausbildungsinhalte der künftigen Ausbildung zu überdenken: Welche Inhalte sind aufzugreifen und mit welcher Intensität? Bedeutend ist auch, in welcher Form die Vermittlung geschehen soll, um die erforderlichen Kompetenzen zu fördern.

Land- und Baumaschinenmechatroniker Meister am BTZ Osnabrück erklärt Elektrik an Flex.

Müssen bald ältere, konventionelle Technologien und Kompetenzen aus dem Lehrplan gestrichen werden, um Platz zu machen für Digitalisierung, Automatisierung und ähnliche Zukunftstechnologien?

Auch in Zukunft werden klassisches Fachwissen sowie handwerkliche Fertigkeiten benötigt, ergänzt durch die Kompetenzen und ein Grundverständnis für neue, digitale Technologien. Definitiv müssen demnach Prioritätensetzungen vorgenommen und Auswahlentscheidungen getroffen werden.

Auch hier liefert die Betrachtung der aktuellen und künftigen beruflichen Arbeitswirklichkeit wertvolle Hinweise, um Kompromisse zu finden zwischen den klassischen Kompetenzen und den neuen Entwicklungen. An solchen Entscheidungsprozessen sollten stets alle drei Lernorte beteiligt sein. Regionale Besonderheiten müssen dabei ebenso wie Differenzierungen innerhalb der Lernorte berücksichtigt werden. So gibt es unterschiedliche Anforderungen zwischen Land- und Baumaschinen oder Kleingeräten, ebenso zwischen großen A-Händlern und kleinen Werkstätten.

Es wird immer offensichtlicher, dass die Ausbildung allein niemals abschließend bzw. ausreichend sein wird, um alle Herausforderungen des Berufslebens zu meistern. Mit den Digitalisierungstrends nimmt die Bedeutung des lebenslangen Lernens zu. Selbst wenn alle erforderlichen Kompetenzentwicklungen im Rahmen der Ausbildung erreicht werden könnten, was natürlich eine utopische Annahme ist, so wären diese bereits in wenigen Jahren wieder überholt. Technologische Entwicklungen vollziehen sich immer rasanter. Zu einem zentralen Baustein der Ausbildung von Fachkräften muss deshalb die Entwicklung einer Lernkompetenz werden: Facharbeiter*innen sollen in die Lage versetzt werden, sich selbstständig weiterzubilden. Gleichzeitig ist diese Entwicklung durch geeignete Fort- und Weiterbildungsangebote zu unterstützten. Betriebe müssen die Nutzung dieser Angebote fördern und fordern.

Lassen sich diese Entwicklungen an allen drei ausbildenden Lernorten ähnlich erkennen oder gibt es Unterschiede?

Die Lernorte sind gleichermaßen betroffen, schließlich vollziehen sich die genannten Trends in der realen Arbeitswelt und an den Arbeitsgegenständen durch die Entwicklungsabteilungen der Hersteller bzw. am Markt durch die Kund*innen. Die Lernorte haben in unserem dualen Ausbildungssystem unterschiedliche Schwerpunkte: Die berufsbildenden Schulen fördern hauptsächlich theoretische Fachkompetenzen, um die Umsetzung beruflicher Handlungen aus der Theorie zu begründen, reflektieren und bewerten können. In der überbetrieblichen Ausbildung wird die fachgerechte Durchführung beruflicher Arbeitsaufgaben eingeübt und in den Betrieben schließlich die wirtschaftliche Umsetzung von Arbeiten mit dem Ziel der Kundenzufriedenheit angestrebt.

Alle drei Lernorte greifen also jeweils den gleichen Lern- bzw. Ausbildungsgegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven auf. Durch die bereits beschriebenen Veränderungen werden die Überschneidungen allerdings immer größer: Die Schulen müssen im Sinne der beruflichen Handlungsorientierung die praktische Durchführung in den Blick nehmen, die überbetriebliche Ausbildung erfordert es, vor der Durchführung von Arbeiten die grundlegenden theoretischen Inhalte einzuführen bzw. zu wiederholen, in den Betrieben sind Facharbeiter*innen auch aufgefordert, ihre Arbeiten dem Kund*innen zu erläutern oder diesen mit einem Überblicksverständnis zu beraten.

Die zunehmenden Überschneidungen und Vernetzungen der Lernorte erfordern eine gute Lernortkooperation, in der Inhalte und Methoden konsequent (neu) abzustimmen und anzupassen sind.

Welche Tipps geben Sie Ausbilder*innen und Lehrer*innen auf den Weg, um ein immer komplexeres Gewerk jedem*r Auszubildenden verständlich zu vermitteln?

Die Ausbildung darf sich nicht in theoretischen und fachlichen Details verlieren, sondern muss sich konsequent an den beruflichen Handlungen orientieren. Leitfrage sollte stets sein: Was brauchen Facharbeiter*innen, um in ihrem beruflichen Arbeitsalltag verantwortungsvoll handeln zu können? Neben einer umfassenden beruflichen Handlungskompetenz ist auch die Fähigkeit und Bereitschaft zu entwickeln, gesellschaftliche Auswirkungen zu reflektieren und zu beurteilen.

Längst lassen sich nicht mehr alle Details vortragen, vormachen oder einzeln erlernen. Es ist also nicht mehr die Aufgabe, Wissen und Fertigkeiten zu „vermitteln“, sondern vielmehr Handlungs- und Gestaltungskompetenzen zu fördern. Auszubildende müssen in die Lage versetzt werden, eigenständig zu arbeiten und zu lernen. Ausgehend von Beispielen sollen sie angeleitet werden, ihre Kompetenzen auch auf neue unbekannte Aufgaben zu übertragen, um so Gestaltungs- und Selbstlernkompetenzen zu entwickeln (auch im Sinne des oben angeführten „lebenslangen Lernens“).

Die veränderten Anforderungen im Ausbildungskonzept wirkungsvoll umzusetzen, funktioniert über didaktisch-methodische Konzeptionen, die einerseits Eigenständigkeit und Kreativität fördern und andererseits ausreichend Freiräume bieten, um selbständig Lösungen zu finden und so die Problemlösekompetenz fördern.


Prof. Strating ist die wissenschaftliche Begleitung mehrerer Projekte, die vom BTZ Osnabrück durchgeführt werden. Er gibt wissenschaftliche Ratschläge und erhebt mit seinem Team Daten, um die Ausbildungssituation einschätzen und neue Konzepte erproben zu können. Prof Strating betreut aktuell folgende Projekte des BTZ: DiKonA, FortUnA und das Kompetenzzentrum für Land- und Baumaschinen.